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Gestochene Wirklichkeit - Bilderbuch-Frauen
Körperfüllende Tätowierungen bei Frauen laufen unseren Klischeevorstellungen von "Weiblichkeit" auch heute noch weitgehend zuwider, verbindet man mit den gestochenen Hautbildern doch nach wie vor Begriffe wie "Selbstverletzung", "Männlichkeit" oder "Härte". Boris Schmalenbergers neueste Serie "Bilderbuch-Frauen" ist diesem Klischee auf der Spur. Nach ausgiebigen Recherchen im Internet hat er in verschiedenen deutschen Städten Tätowierte besucht und sie auf großformatigen Fotografien festgehalten.
Schmalenbergers künstlerische Dokumentation überrascht dabei sowohl durch die großen Unterschiede im soziokulturellen Hintergrund der Porträtierten, als auch durch die subtile fotografische Vorgehensweise: So reduziert er seine Modelle nicht etwa auf ihre erotisch-körperlichen Qualitäten (was das Thema ja vermuten lassen könnte). Vielmehr nähert er sich jeder einzelnen Tattoo-Trägerin individuell und stellt die Frage nach Motivation und besonderer Ausprägung des Körper-Bilds. Unabdingbare Voraussetzung war, alle Fotografien bei den Modellen zuhause zu realisieren, um auf diese Weise das persönliche Umfeld mit in die Bildgestaltung einzubeziehen zu können.
Entstanden sind großzügig komponierte Dreiergruppen von Fotografien, bestehend jeweils aus Porträt, Akt und freier Präsentation, die - in quadratischen Formaten – das Thema des tätowierten weiblichen Körpers von unterschiedlichen Warten aus beleuchten. In den frontalen Porträts vor schwarzem Grund zeigen sich die Modelle dem Betrachter noch ohne Hinweis auf ihre "Hautzeichnungen": selbstbewusste Persönlichkeiten, die sich der zerstörerischen Konsequenz des Eingriffs in ihre Haut durchaus bewusst sind. Die Aktaufnahmen hingegen erlauben, die - auch erotische - Ästhetik der Tattoos vor dem jeweiligen Hintergrund des heimischen Ambientes zu zeigen. In den freie Präsentation schließlich formulieren die Porträtierten ihre ganz individuellen Wünschen und Phantasien, und geben so ein Stück der Motivation preis, ihren Körper ästhetisch zu modifizieren.
Boris Schmalenberger zeigt uns tätowierte Frauen damit als Menschen, die sich von anderen vor allem dadurch unterscheiden, dass sie ihrer Individualität auch körperlich selbstbewusst Ausdruck verleihen - ein Bedürfnis, das durch Mode heute längst nicht mehr befriedigt wird. Das Thema "Körperlichkeit", das Schmalenbergers fotografisches Werk wie ein roter Faden durchzieht, bekommt dabei - anders als in früheren Arbeiten - eine eher dokumentarische Färbung. Doch erweisen sich auch die neuen Arbeiten des Stuttgarter Fotografen eindeutig als ästhetische Konstrukte, die in ihrer poetischen Struktur über eine abbildliche Darstellung von Wirklichkeit weit hinausreichen: Den Titel "Bilderbuch-Frauen" darf man daher ruhig in jeder Hinsicht wörtlich verstehen...